Langlebigkeit als Schuld? Philosophin kritisiert den Hype um ewiges Leben

Der Hype um Langlebigkeit und ewiges Leben wird von vielen befeuert – doch ist das wirklich sinnvoll? Philosophin Rebekka Reinhard äußert in einem Interview scharfe Kritik an dieser Entwicklung. Sie sieht darin eine gefährliche Verlagerung der Verantwortung auf den Einzelnen, die an neoliberale Denkweisen erinnert.
Die Verlagerung der Verantwortung
Reinhard argumentiert, dass die Fokussierung auf Langlebigkeit den Eindruck erweckt, Gesundheit sei eine Frage des individuellen Lebensstils und der persönlichen Entscheidungen. Wer also nicht gesund ist, sei „selbst schuld“. Dieser Gedanke ignoriere jedoch die komplexen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren, die unsere Gesundheit maßgeblich beeinflussen. Armut, mangelnde Bildung, schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung sind nur einige Beispiele dafür, wie die Lebensumstände eines Menschen seine Gesundheit beeinträchtigen können, unabhängig von seinem persönlichen Engagement.
Neoliberalismus und Selbstoptimierung
Die Philosophin sieht in dem Langlebigkeitshype eine Manifestation neoliberaler Ideologien. Neoliberalismus betont die Eigenverantwortung des Einzelnen und reduziert gesellschaftliche Probleme auf individuelle Versäumnisse. Die Idee, dass man durch die richtige Ernährung, Bewegung und mentale Einstellung ein langes und gesundes Leben erreichen kann, entlastet den Staat und die Gesellschaft von ihrer Verantwortung für das Wohlbefinden der Bürger.
Kritik am „Gesundheits-Imperativ“
Reinhard warnt davor, dass die ständige Betonung von Gesundheit zu einem „Gesundheits-Imperativ“ führt. Menschen, die nicht den idealen Gesundheitsstandards entsprechen, werden stigmatisiert und als Versager betrachtet. Dies kann zu Scham, Schuldgefühlen und sozialer Ausgrenzung führen. Es ist wichtig, zu erkennen, dass Gesundheit ein Privileg ist, das nicht jedem Menschen gleichermaßen zugänglich ist.
Alternativen zum Langlebigkeits-Hype
Anstatt den Fokus auf ewiges Leben zu legen, sollte die Gesellschaft sich auf die Verbesserung der Lebensqualität für alle konzentrieren. Dies bedeutet, soziale Ungleichheit zu bekämpfen, gesunde Lebensbedingungen zu schaffen und den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Es geht darum, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich jeder Mensch wohl und gesund fühlen kann, unabhängig von seiner Lebenserwartung.
Fazit: Verantwortung teilen
Rebekka Reinhard fordert eine kritische Auseinandersetzung mit dem Langlebigkeitshype. Es ist wichtig, die Verantwortung für Gesundheit nicht allein dem Einzelnen zuzuschieben, sondern die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Nur so können wir eine gerechtere und gesündere Gesellschaft für alle schaffen.